Menschen als Ware

Ausschnitte aus Theaterstück „Menschen. zu verkaufen”. Diskussion mit Einblick in Produktionsprozess

Schauspielerin Ioana Iacob: „Wir haben versucht, mit dem Stück sachlicher zu sein, aber am Ende wird man emotional, weil man versteht, was passiert ist.“ Foto: Dirk Hornschuch

„Innerhalb von nur 22 Jahren wurde eine Bevölkerung verkauft, die seit 850 Jahren in Siebenbürgen und 250 Jahren im Banat ansässig war“, spricht die Schauspielerin Ioana Iacob ins Publikum hinein. So absurd dieser Satz auch klingen mag, er entstammt einem Theaterstück, welches auf realen Tatsachen und Biografien beruht. „Menschen. zu verkaufen“ ist der Titel des Stücks von Carmen Lidia Vidu, welches 2022 seine Premiere im Staatstheater Temeswar feierte und vergangene Woche in Ausschnitten im Goethe-Institut Bukarest gezeigt wurde. Angeschlossen war eine Diskussion zwischen der Regisseurin Vidu und der Wissenschaftlerin Germina Nagâț, Ausschussmitglied im Rat zur Aufarbeitung der Securitate-Archive (CNSAS), welche von Dr. Joachim Umlauf und Roxana Lăpădat vom Goethe-Institut moderiert wurde.

Dunkelheit auf der Bühne. Plötzlich ein tiefer, dröhnender Bass, wir sehen Bilder aus einer verloren geglaubten Welt. Trachten, Kirchenburgen, Volkstanz. Ein Schlagzeug gibt die Marschrichtung vor, eine E-Gitarre stimmt ein, eine Frauenstimme hebt an, ein bekanntes Lied zu singen, allerdings ungewohnt monoton, jede Silbe einzeln betonend: „Willst Du Got-tes Wer-ke schau-en, komm ins Sie-ben-bür-gen-land”. Mit diesem Rammstein-Verschnitt zu Beginn des Stücks „Menschen. zu verkaufen” wird die Härte klar, die sich gleich durch den Abend ziehen soll: „Der Verkauf eines großen Teils der deutschen Bevölkerung Rumäniens an die BRD ist der größte Menschenhandel im Europa des 20. Jahrhunderts“, erklärt Schauspielerin Ioana Iacob, während sie vor dem Publikum steht, hinter ihr Collagen, die an ein Tafelbild erinnern.

Während das sozialistische Rumänien in der offiziellen Propaganda vor den Gefahren des kapitalistischen Westens warnte, verkaufte es ab den Sechzigern über 220.000 Angehörige der deutschen Minderheit, Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen, an die Bundesrepublik Deutschland.

Unterbrochen werden die didaktisch anmutenden Monologe Iacobs durch Filmsequenzen: Ausschnitte aus einem Agitationsfilm des sozialistischen Rumäniens über das Leben der deutschen Minderheit oder einem Interview mit dem deutschen Chefunterhändler Dr. Heinz-Günther Hüsch. Eben jener erst kürzlich verstorbene Rechtsanwalt war es, der mit den Offizieren der Securitate über das Kopfgeld eines jeden Menschen in geheimen Treffen konferierte.

„Es klingt wie in einem Hollywoodfilm, aber als ich dann in den Archiven war und die Dokumente gesehen habe, habe ich verstanden: Es wurden Köpfe verkauft“, sagt die Wissenschaftlerin Germina Nagâț, die an dem Abend immer wieder aus ihren Nachforschungen berichten wird und von Regisseurin Carmen Vidu für Recherchen während der Produktion herangezogen wurde.

„Angefangen hat der Freikauf in den Fünfziger Jahren, als Rumänien erste politische Gefangene verkaufte, vor allem nach Israel. Das war eine Art Business, welches man später auch der BRD vorgeschlug”, erklärt Nagâ
ț, die Mitglied im Rat zur Aufarbeitung der Securitate-Archive (CNSAS) ist. Zu Beginn dieses Handels hatte die BRD offiziell die Familienzusammenführung als Motiv angegeben, später wurde das Unterfangen als humanitäre Hilfe angesehen. Fakt ist aber auch, dass Westdeutschland damit auch Arbeitskräfte gewann, die bereits Deutsch sprachen und schneller integriert werden konnten.

Gleich zu Beginn der Diskussion steigt Dr. Joachim Umlauf, Leiter des Goethe-Instituts, deshalb ein und gibt seine Verwunderung zum Ausdruck: „Dieser ganze Vorgang ist so unbekannt in Deutschland!“

„Natürlich, denn die Bürger der BRD sollten ja nicht wissen, dass aus ihrem Steuergeld in Verhandlungen mit einem Diktator Menschen angekauft werden“, meint Nagâ
ț. Das Aktendossier „Donau“, welches genauere Aufschlüsselungen und Abmachungen über jenen Handel enthält, wurde erst im Frühjahr 2014 von Ex-Präsident Băsescu freigegeben.

Die Brisanz und besondere Schwere des Themas war an dem Abend auch im Publikum zu spüren, das zahlreiche Fragen zur Produktion des Theaterstücks bis zum spezifischen Vorgehen bei der Securitate stellte. Dabei war es den Organisatoren im Goethe-Institut von Vornherein besonders wichtig, dass der Abend keine reine Diskussionsveranstaltung wird, sondern der Showcase aus dem Theaterstück vielmehr eine Diskussionsgrundlage bietet.

„Ich wollte nicht zu viel Emotion in diese Geschichte bringen, die sowieso schon sehr aufgeladen ist“, erklärte Regisseurin Carmen Vidu. Diese Karte habe der herausragende Dokumentarfilm von Răzvan Georgescu „Pa
șaport de Germania“ (Reisepass nach Deutschland, Rumänien, 2014) schon gespielt. „Außerdem wird das rumänische Publikum in Rumänien sagen: Über was beschwert ihr Euch? Wenigstens wurdet ihr hier herausgeholt.“

Auch Schauspielerin Iacob, die an dem Abend viel Applaus für ihre Darbietung bekam, wandte sich in der Diskussion kurz ans Publikum, gefragt nach ihrem Bezug zur Thematik: „Meine Eltern haben mich Ende der Achtzigerjahre auf eine deutsche Schule geschickt. Ich war also immer schon in Kontakt mit Kindern, die ethnische Deutsche waren. Dann, im Jahr der Revolution, wurde die Klasse leerer.” Das sei ein Verlust gewesen und anfangs schwer begreifbar. Iacob weiter: „Wir haben versucht mit dem Stück sachlicher zu sein, aber am Ende wird man emotional, weil man versteht was passiert ist.“ Betroffene der Aktion saßen auch oft im Publikum, während der Vorstellungen, erklärt Carmen Vidu: „Viele Sachsen, die verkauft wurden, waren schockiert, im Theaterstück erstmals die Klarnamen der Securitate-Offiziere zu lesen, mit denen Sie in Kontakt waren. Fast wie das Aufeinandertreffen eines Gefangenen und seines Wächters, 30 Jahre später.”

Auf die Publikumsfrage, ob die Möglichkeit besteht, dass in den nächsten Jahren weitere Akten auftauchen, die ähnlich brisant sind wie diese, antwortete Nagâ
ț: „Sicherlich zu einem anderen Thema und vielleicht nicht in den Securitate-Archiven”. Sie äußerte an dem Abend auch vorsichtig die Hoffnung, dass eines Tages eine Doktorarbeit über dieses brisante Thema des Ankaufs ethnischer Deutscher aus Rumänien entsteht.

Der Abend fand im Rahmen des dreijährigen europäischen Projekts NARDIV statt, das es sich zum Ziel gesetzt hat, den Austausch zwischen Ost- und Westeuropa im Kultur-, Kunst- und Medienbereich und dessen Praktiken kritisch zu hinterfragen. Ein wichtiger Punkt dabei ist die sogenannte Kulturdiplomatie, die sich zum Beispiel auch in der Eröffnung des Bukarester Goethe-Instituts während der Zeit des Eisernen Vorhangs niederschlägt.

„Es wäre spannend, zu wissen, ob und in welchem Umfang das Goethe-Institut beobachtet wurde, oder unsere Mitarbeiter, die das Institut in den Achtzigerjahren aufgebaut haben“, erklärte Dr. Joachim Umlauf, jetziger Leiter des Instituts. Diese und weitere Fragen sind Teil einer Doktorarbeit für das NARDIV-Projekt, an der Roxana Lăpădat momentan arbeitet.

Neben weiteren Aufführung des Stücks „Menschen. zu verkaufen“ im Deutschen Staatstheater Temeswar wird es laut Regisseurin Vidu in diesem Jahr auch Gastaufführungen in Deutschland, und zwar in Karlsruhe, Baden-Baden und Berlin, geben. Genauere Details werden noch bekannt gegeben.